Alle vier Jahre wird in Köln der Preis “Alternative Ehrenbürgerschaft” vergeben. Dass es im Jahr 2023 der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum und die Streetworkerin Linda Rennings sind, scheint nicht zusammen zu passen. Doch stimmt das?
Die Alternative Ehrenbürgerschaft wird der normalen Ehrenbürgerschaft der Stadt gegenüber gestellt „als Würdigung für Menschen, die sich für die sozialen, die kulturellen und auch rechtlichen Belange der Bürger dieser Stadt eingesetzt haben und als Bestärkung, ihr Schaffen fortzusetzen“. Und genau das trifft für Linda Rennings und Gerhart Baum zu. Es passt auch das Motto in diesem Jahr: „Menschenrechte: Von oben und von unten“.
Diejenigen ohne Lobby im Blick
Linda Rennings setzt ihre eigenen Krisenerfahrungen heute zum Wohle anderer ein. Dafür „zollt ihr das Komitee mit der alternativen Ehrenbürgerwürde Respekt und Anerkennung. Chefredakteurin Christine Bacher in der Obdachlosen-Zeitschrift Draussenseiter: “ Warst du überrascht, als du von der Auszeichnung erfahren hast?“ Darauf ganz bescheiden Linda Rennings, die die harte Arbeit an der Basis nur zu gut kennt: „ Ja, klar. Ich war sehr überrascht, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet habe. Und ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht sicher, wie ich eine Ehrenbürgerschaft verdient habe. Das, was ich für die Menschen tue, ist für mich ja Normalität. Ich setze mich schon immer so gut es geht für Menschenrechte ein. Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich eben vor allem diejenigen im Blick, die keine Lobby haben und oft vergessen werden: Zum Beispiel obdachlose Frauen mit Hund.“ Und ihr Hund Clyde darf niemals fehlen.
Christina Bacher bewundert Linda für die „Fürsorge für Clyde, um den sie sich so rührend kümmert. Und ich habe großen Respekt davor, dass sie die Kraft, die sie nach einer schweren Lebensphase, in der sie obdachlos war, gesammelt hat, heute an andere weitergibt.“
Freiheit und soziale Verantwortung
Ganz anders Gerhart Baum. Weltkriegsgeschädigt mit Flüchtlingserfahrung kennt er auch aller Härten des Lebens. Das hat seine humanistische und freiheitliche Gesinnung geprägt, die er versuchte, in politisches Handeln und soziales und kulturelles Engagement umzusetzen. Und das nicht immer zur Freude anderer. Sein Lebensmotto ist Freiheit und eine Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung.
Klaus Jünschke traf Gerhard Baum 1987 zum ersten Mal. Jünschke war Mitglied der RAF und wurde wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes 1977 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und 1988 begnadigt. Er hatte die Folter der Isolationshaft am eigenen Leib erfahren. Doch im Gegensatz zu vielen anderen räumte Gerhart Baum ein, dass die Isolationshaft ein Fehler gewesen sei. Baum ist auch der Ansicht, dass der Journalist Julian Assange nicht in ein Gefängnis gehört, denn die Pressefreiheit habe Vorrang.
„Aktuell“ – so Jünschke – „hat der Vringstreff die Initiative „Freikaufen Köln“ entwickelt, um, Gefangene freizukaufen, die nur in Haft sind, weil sie eine Geldstrafe wegen Fahren ohne Ticket nicht bezahlen konnten. Und wieder ist Gerhart Baum zur Stelle und unterstützt „Freikaufen Köln“ und die Abschaffung der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe. Und wieder ist es seine Partei, die FDP, die ihm nicht folgen mag. Statt die Armut zu bekämpfen, hält die FDP an der Bestrafung der der Ärmsten der Armen fest.“ Der Seitenhieb saß, doch Gerhart Baum habe er “stets als einen anständigen hilfsbereiten Menschen erlebt.“
Am Rande der Veranstaltung protestierten die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim und Raine Kippe gegen die Schließung von Obdachlosenhäusern, ohne ausreichende Alternativen zur Verfügung zu stellen und die Wohnungsnot in Köln .
Über beide Preisträger gibt es deutlich mehr zu erzählen:
Programmablauf
Laudatio von Helge Malchow
Gespräch zwischen Anke Bruns und Linda Rennings
Dankesrede von Gerhart Baum